Wissing trifft auf „Klimakleber“: Kommt jetzt die Klimawende?
Bundesverkehrsminister Volker Wissing trifft auf die „Klimakleber“ der Aktivistengruppe „Letzte Generation“. Gibt es jetzt die Klimawende?
Zum ersten Mal seit den massiven Blockadeaktionen in Berlin trifft ein Bundesminister auf die Mitglieder der Aktivisten-Gruppe „Letzte Generation“. Es ist eine Premiere, die länger dauert als geplant. Eine Stunde sollte das Gespräch am Dienstag (2. Mai) eigentlich dauern, am Ende aber werden es zwei.
Es soll ein menschlich respektvolles Gespräch gewesen sein. Das zumindest erklärt die Aktivistin Lea Bonasera kurz darauf. Am Kurs der Letzten Generation ändere das aber nichts: Die Proteste sollen weitergehen – auch wenn einige Klimaaktivisten bereits die Reißleine gezogen haben, wie echo24.de berichtet. Denn: Bei den inhaltlichen Differenzen bleibt es auch weiterhin, wie die „Deutsche Presse-Agentur“ am Dienstag mitteilt.
„Letzte Generation“ mit konkreten Forderungen an Wissing – darum kleben sie sich fest
Anfang März noch besprühten Vertreter der Gruppe das Ministeriumsgebäude mit Wasser aus einem Feuerwehrauto und verpassten Wissing „eine kalte Dusche“. Und Autofahrer in ganz Deutschland brauchten immer wieder starke Nerven – auch in Heilbronn. Das dafür am Heilbonner Amtsgericht verkündete Urteil spornte den ein oder anderen in seiner Entschlossenheit jedoch nur noch mehr an.
Die Klimagruppe fordert eine „echte Verkehrswende“, wie Bonasera nach dem Gespräch mit Wissing bekräftigt. Konkret heißt das: ein generelles Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und ein 9-Euro-Ticket im Nah- und Regionalverkehr – und einen „Gesellschaftsrat“ mit 160 gelosten Mitgliedern, der das Ende der Nutzung fossiler Brennstoffe wie Öl, Kohle oder Gas in Deutschland bis 2030 konkret planen soll.
Wissing: Straftaten der „Klimakleber“ sind „kein Mittel der Meinungsäußerung“
Forderungen, die Wissing ablehnt. Der FDP-Politiker äußert sich nach dem Gespräch nicht. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums teilte mit, es sei „ein sachlicher Austausch von Positionen und Argumenten“ gewesen. Im Dialog zu stehen, gehöre zum Wesen der Demokratie. „Um unsere Klimaziele zu erreichen, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens und keine Spaltung. Dieser Konsens muss auf demokratischem Weg erarbeitet und darf nicht mit Gewalt erzwungen werden.“
Vor dem Treffen hat Wissing seine Kritik an den Straßenblockaden bekräftigt: Er habe null Toleranz und Verständnis für Straftaten. „Das ist kein Mittel der Meinungsäußerung. Das muss mit aller Härte des Gesetzes verfolgt werden.“ Er halte es aber in einer Demokratie für wichtig, dass man Argumente austausche.
Wissing von Argumenten der „Klimakleber“ wenig überzeugt
Die Argumente der Letzten Generation überzeugten ihn nicht, sagt Wissing. Es sei etwas merkwürdig, wenn man der Minister sei, der das Deutschlandticket und das 9-Euro-Ticket vorgeschlagen habe – und es dann Straßenproteste gebe, die ihn aufforderten, etwas für den öffentlichen Personennahverkehr zu tun, so Wissing.

„Ich finde es sehr anstrengend, wenn man in der Öffentlichkeit erlebt, dass Bürgerinnen und Bürger blockiert werden von einer Gruppe, die weniger Klimaschutzmaßnahmen fordert, als die Bundesregierung umsetzt. Das ist schon mehr als erklärungsbedürftig“, erklärt Wissing.
Klima-Aktivisten wollen Mitte Mai erneutes Gespräch mit Wissing
Ihren Kurs versucht die Letzte Generation weiter zu erklären. Man wolle Mitte Mai noch einmal mit Wissing reden, sagt die Aktivistin Bonasera. Den Protest der Gruppe vergleicht sie mit dem Streik einer Gewerkschaft zur Durchsetzung eines Tarifabschlusses. Der bisherige Klimaschutz reiche nicht aus, es brauche dringend weitere Maßnahmen.
In der Tat ist der Verkehr eines der großen „Sorgenkinder“ beim Klimaschutz. Im vergangenen Jahr wurden gesetzliche Vorgaben zur CO₂-Einsparung verfehlt. Die Emissionen stiegen im Vergleich zum Vorjahr auf 148 Millionen Tonnen CO₂ leicht an – statt zu sinken. Nachdem die Corona-Einschränkungen weitgehend aufgehoben worden seien, habe der Pkw-Verkehr wieder leicht zugenommen, so das Umweltbundesamt. Der Zuwachs bei den Neuzulassungen von Elektroautos reiche nicht aus, um die Zunahme der Emissionen auszugleichen.
Inhaltliche Kluft zur Letzten Generation könnte bald noch größer
Das Verkehrsministerium wiederum verweist auf das Deutschlandticket oder Maßnahmen, um mehr Elektroautos auf die Straße zu bringen. Für viel Kritik bei Umweltverbänden hat gesorgt, dass die Spitzen der Ampel-Koalition eine Reform des Klimaschutzgesetzes vereinbart haben. Bisher müssen einzelne Minister ein Klimaschutzsofortprogramm starten, wenn Klimaziele in ihrer Verantwortung verfehlt werden - eigentlich müsste Wissing bis Mitte Juli ein solches Programm vorlegen.
Künftig aber soll die Bundesregierung nur insgesamt nachsteuern, wenn auch „auf Basis der Vorschläge“ der hauptsächlich verantwortlichen Ministerien – falls sich in zwei aufeinanderfolgenden Jahren abzeichnet, dass das Klimaziel für 2030 nicht erreicht wird. Die große Frage ist nun, ob die Reform des Klimaschutzgesetzes vor Mitte Juli in Kraft tritt.
Die inhaltliche Kluft zur Letzten Generation also könnte noch größer werden. Die Gruppe hofft auf Gespräche mit weiteren Vertretern der Bundesregierung - ganz besonders sieht sie Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Zug: «Herr Scholz, der als Klimakanzler angetreten ist, ist derjenige, der jetzt eine klare Position beziehen könnte.»