Kurz von FPÖ entsetzt: Partei verteilt in Braunau „Rattengedicht“ - an Hitlers Geburtstag

Ein Politiker der österreichischen Regierungspartei FPÖ hat an heiklem Ort und Datum ein geschmackloses Gedicht verteilen lassen. Auch Kanzler Sebastian Kurz steht nun unter Druck.
Linz/Wien - Seit gut einem Jahr versuchen sich die österreichischen Konservativen der ÖVP in einer Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ - die Konstellation bleibt schwierig: Am Osterwochenende hat die Regierungspartei FPÖ mit einem Parteiblatt massiv provoziert. In einem Gedicht vergleicht die Partei Menschen mit Ratten - und zieht über Migranten her.
Auch Ort und Zeit scheinen heikel: Verteilt wurde das Blatt am 20. April in Braunau. Also am Geburtstag und dem Geburtsort Adolf Hitlers. Der Fall schlägt Wellen bis ins Ausland. Sogar die britische BBC berichtete über den Fall. Die erste Reaktion von FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache befeuerte die Empörung weiter. Der Verfasser, der FPÖ-Vizebürgermeister von Braunau, Christian Schilcher, trat am Dienstag von seinem Amt zurück.
Kurz (ÖVP) reagiert auf „Rattengedicht“: „Abscheulich, menschenverachtend und zutiefst rassistisch“
Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte zuvor nach Angaben der österreichischen Nachrichtenagentur APA empört reagiert. „Die getätigte Wortwahl ist abscheulich, menschenverachtend sowie zutiefst rassistisch und hat in Oberösterreich und im ganzen Land nichts verloren“, sagte Kurz der APA. „Es braucht sofort und unmissverständlich eine Distanzierung und Klarstellung durch die FPÖ Oberösterreich.“ Oberösterreichs Landeschef Thomas Stelzer (ÖVP), der in dem Bundesland mit der FPÖ zusammenarbeitet, bezeichnete das Gedicht als „widerlich“.
Die gewünschte Distanzierung lieferte Strache zunächst allerdings nicht. „Die aktuelle Hetze und Kampagne gegen die FPÖ zeigt nur, dass unsere politischen Mitbewerber gerade vor der EU-Wahl besonders nervös sind“, schrieb er in einem am Montag veröffentlichten Facebook-Post. Man arbeite mit Kurz „korrekt und auf Augenhöhe“ zusammen.
Am Dienstag äußerte sich Strache bei einer Pressekonferenz zu dem Fall, wie der ORF berichtete - und erklärte, niemand habe von dem Text gewusst. Den Rücktritt Schilchers wollte er allerdings explizit nicht als seine Entscheidung verstanden wissen. „Das war eine Regionalangelegenheit. Diese Entscheidung hat der Funktionär von sich aus getroffen.“
Eklat in Braunau: FPÖ-Lokalpolitiker tritt nach diesem Gedicht zurück
In dem Gedicht „... die Stadtratte (Nagetier mit Kanalisationshintergrund)“ heißt es unter anderem: „So, wie wir hier unten leben,/ müssen and're Ratten eben,/ die als Gäst' oder Migranten,/ auch die, die wir noch gar nicht kannten,/ die Art zu leben mit uns teilen!/ Oder rasch von dannen eilen!“ An anderen Stellen wird in dem Gedicht vor einer Vermischung von Kulturen gewarnt, ebenfalls beklagt werden Willkommenskultur und Investitionen für Integrationsmaßnahmen.
Schilcher selbst erklärte laut einem Bericht des österreichischen Kurier, er habe mit seinem Text „provozieren, aber keinesfalls beleidigen oder gar jemanden verletzen“ wollen. „Dass der Vergleich von Mensch und Ratte historisch belastet und mehr als unglücklich ist, ist ein Faktum und es tut mir aufrichtig leid, das missachtet zu haben."
Der Politiker betonte noch vor seinem Rücktritt, er habe lediglich klarstellen wollen: "Wer zu uns kommt und sich an unsere Gesetze hält, kann ein Teil von uns werden, wer unsere Gesetze und Gebräuche miss- oder gar verachtet, kann das nicht." Dabei habe er allerdings "unscharfe, tatsächlich zu wenig präzis durchdachten Formulierungen" verwendet.
Kurz unter Druck: Kanzler will Fall ad acta legen - trotz Straches Reaktion
Ob der Abgang des Lokalpolitikers genügt, um die Regierung zu entlasten, bleibt abzuwarten. Die Oppositionspolitikerin Stephanie Krisper von der liberalen Partei neos warf Kurz im Umgang mit der FPÖ „scheinheilige Lippenbekenntnisse“ vor. „Sie erkennen das #Rattengedicht von FPÖ #Braunau als zutiefst rassistisch. Dennoch reicht es Ihnen, wenn sich FPÖ davon verbal distanziert?“, schrieb sie auf Twitter. Kritik kam auch aus der SPÖ.
Kurz war am Dienstag bemüht, den Fall nach dem Abgang Schilchers ad acta zu legen. Es habe sich „um die einzig logische Konsequenz gehandelt“, schrieb der österreichische Kanzler auf Twitter. „Der klare Schritt des Vizekanzlers und der FPÖ-Spitze war notwendig und richtig“, erklärte er - ungeachtet der Tatsache, dass sich Strache mit dem Rücktritt nicht in Verbindung gebracht wissen wollte.
„Abscheuliches“ Gedicht in Braunau: Empörung auch in Deutschland - FDP-Mann verweist auf FPÖ-Bande zur AfD
Auch in der deutschen Politik sorgte der Fall für Empörung. „1) Die #FPÖ verschickt ein Gedicht, in dem Menschen mit Ratten verglichen werden 2) an Hitlers Geburtstag und 3) aus Hitlers Geburtsort. Der FPÖ-Vorsitzende #Strache sieht in der Kritik ‚Nervosität des politischen Gegners‘, schrieb FDP-Bundesvorstand Alexander Graf Lambsdorff in einem Tweet: „Das ist die Partnerin der @AfD für die #Europawahl.“
Die ÖVP-FPÖ-Koalition in Wien war im ersten Jahr ihres Bestehens vor allem durch demonstrative Geschlossenheit aufgefallen. Zuletzt sorgten aber bereits Verbindungen zwischen der FPÖ und den „Identitären“ für Ärger. Kanzler Kurz forderte damals, dass sein Koalitionspartner sämtliche Verbindung zu der Bewegung kappen solle. Auch eine Warnung des FPÖ-geführten Innenministeriums vor „enger Zusammenarbeit mit liberalen Medien“ sorgte für Aufsehen und Proteste.
Auch interessant: Infolge des Skandals um das „Rattengedicht“, kam es zu einem weiteren Skandal. In einer ORF-Sendung befragte der Moderator den FPÖ-Politiker Harald Vilimsky zu dem Gedicht und zu einem rassistischen Plakat der FPÖ-Jugend. Daraufhin drohte der Politiker dem Moderator.
In einem heimlich aufgezeichneten Video sprach der österreichische Vizekanzler Strache über eine Neuordnung der Medienlandschaft, illegale Parteispenden und Schmutzkampagnen gegen politische Gegner.
fn (mit AFP)