Gabriel unter Verdacht: Neue Vorwürfe wegen Tönnies-Beratung - Ex-SPD-Chef wehrt sich

Neue Entwicklung im Corona-Skandal bei Tönnies: Nun wurde bekannt, dass Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel laut einem Bericht offenbar als Berater für den Fleischkonzern tätig war. Der Politiker hat bereits reagiert.
- Wegen eines Corona*-Ausbruchs in einer Tönnies-Fabrik geriet der Fleischkonzern massiv unter Druck.
- Nun berichtet ein Magazin, dass Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel vor wenigen Monaten als Berater für Tönnies tätig war. Kritik setzt es auch aus seiner Partei - etwa von Arbeitsminister Hubertus Heil (siehe Erstmeldung und Update vom 2. Juli).
- Ein neu aufgetauchter Brief wirft weitere Fragen auf. Sigmar Gabriel verteidigt sich entschieden.
Update vom 4. Juli, 11.02 Uhr: Im Zuge des Corona-Massenausbruchs bei Tönnies wurde bekannt, dass Sigmar Gabriel als Berater der Fleischfabrik tätig war (siehe Erstmeldung). Nun ist ein Brief aufgetaucht, in dem Clemens Tönnies Neffe Robert schwere Vorwürfe gegen Gabriel erhebt. Das Schreiben liegt Bild vor.
In dem Brief, der auf den 26. Februar 2020 datiert und von Robert Tönnies unterzeichnet ist, rät Tönnies davon ab, Sigmar Gabriel als Berater einzusetzen. Der Ex-SPD-Chef soll den Konzern im Zeitraum 1. März bis 31. Mai 2020 beraten haben.
Robert Tönnies hat von Gabriels Engagement abgeraten
„Die Verpflichtung ehemaliger Spitzenpolitiker für Unternehmen führt immer wieder zu unangenehmen Fragen der Öffentlichkeit und in Folge zu einem Imageschaden für das betroffene Unternehmen und den ehemaligen Politiker“, heißt es in dem Schreiben, das Bild (hinter Bezahlschranke) veröffentlicht hat.
Mit einer derartigen Geschäftsbeziehung könnte der Verdacht aufkommen, Tönnies würde Gabriel für seine Leistungen als Politiker belohnen. Robert Tönnies äußerte Bedenken, dass die Beschäftigung Gabriels die Frage aufwerfen könnte, „ob Herr Gabriel dem Unternehmen bei der Fortführung des Modells der Werkverträge oder bei der Niederschlagung der Kartellstrafe hilfreich zur Seite stand, öffentlich diskutiert werden würde. Es war schließlich sein Verantwortungsbereich!“ 2013 hatte das Bundeskartellamt eine Strafe gegen den Fleischkonzern eingeleitet.
Sigmar Gabriel weist Vorwürfe entschieden von sich: Das ist „Quatsch“
Der ehemalige SPD-Vorsitzende hat Anschuldigungen zurückgewiesen, er habe in seiner Zeit als Bundeswirtschaftsminister den umstrittenen Fleischunternehmer Clemens Tönnies vor einer Millionenstrafe des Bundeskartellamts bewahrt. Den Verdacht bezeichnete Gabriel am Freitag in der Internetsendung Bild live als „Quatsch“. Er habe mit dem Thema nichts zu tun gehabt. „Warum soll ich mich zu solchen Vorwürfen äußern, die an den Haaren herbeigezogen sind.“
Unterdessen wurde in Deutschland der erste Fall der Afrikanischen Schweinegrippe bestätigt.
Video: Ex-Wirtschaftsminister Gabriel war Berater von Tönnies
Berater bei Tönnies: Ex-SPD-Chef Gabriel verteidigt Tätigkeit - Deutliche Kritik aus der Politik: „Er hat keine Skrupel“
Update vom 2. Juli, 20.29 Uhr: Auch Hubertus Heil kritisiert die Beratertätigkeit von Sigmar Gabriel für das Unternehmen von Clemens Tönnies. Bei „Bild live“ sagte der Arbeitsminister: „Das, was er jetzt macht, ist wahrscheinlich legal. Legitim? Darüber muss man diskutieren. Ich sage es mal in den Worten meiner Mutter: ‚Es gibt Situationen, da kommt mir das Gefühl, so was macht man nicht.‘“
Er sei der Meinung, dass der Parteikollege „selbst entscheiden“ müsse, was richtig für ihn ist. Für ihn gelte jedoch: „Ich bedauere das.“ Zugleich lobte er Gabriel für sein politisches Wirken: „Er hat viel geleistet für unser Land.“
Gabriel beriet Tönnies: Weil (SPD) nennt das Engagement „befremdlich und peinlich“
Update vom 2. Juli, 17.35 Uhr: Die aktuelle SPD-Spitze reagierte mit Befremden auf das Engagement Sigmar Gabriels. „Ehemalige Vorsitzende sind der SPD keine Rechenschaft schuldig, wenn sie nach ihrer aktiven Zeit Tätigkeiten für andere aufnehmen“, betonten die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ zwar.
Die beiden sagten aber auch: „Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergibt sich dabei aus unseren Grundwerten, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält.“ Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nannte Gabriels Tönnies-Engagement „befremdlich und peinlich“.
Dem Spiegel sagte Gabriel, dass er die Reaktion der SPD-Parteichefs nicht ernst nehmen könne. „Beide gehören auch zu denen, die heute laut Kritik üben, sich damals aber keinen Deut um die Fleischindustrie gekümmert haben“, sagte der frühere Außenminister.
Mit deutlicher Kritik reagierte die Linken-Spitze auf den Beratervertrag. „Das rundet das Gesamtbild von Sigmar Gabriel ab. Er hat keine Skrupel, als Sozialdemokrat für einen der größten Ausbeuter zu arbeiten“, sagte der Parteivorsitzende Bernd Riexinger dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, nannte die Kombination von „Hungerlöhnen und fetten Honoraren bei Milliardär Tönnies unfassbar“.
Nach Corona-Skandal bei Tönnies: Gabriel soll Beraterhonorar von 10.000 Euro monatlich bekommen haben
Erstmeldung vom 2. Juli:
Berlin - Einem Medienbericht zufolge ist der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel vom Fleischproduzenten Tönnies* als Berater bezahlt worden. Der frühere Bundeswirtschaftsminister sei seit März 2020 bis mindestens Ende Mai 2020 für den Konzern tätig gewesen, berichtete das ARD-Magazin „Panorama“ am Donnerstag. Gabriel erhielt demnach bislang offenbar ein Pauschalhonorar von 10.000 Euro im Monat sowie ein zusätzliches vierstelliges Honorar für jeden Reisetag. Die Tätigkeit sollte laut „Panorama“ auf zwei Jahre angelegt sein.
Nach Corona-Skandal bei Tönnies: Gabriel bestätigt Beratertätigkeit für den Fleischkonzern
Gabriel teilte dem Bericht zufolge auf „Panorama“-Anfrage mit, dass seine privatwirtschaftlichen Tätigkeiten keiner Veröffentlichungspflicht unterlägen. Bei Auskünften an Medien habe er immer auch Interessen Dritter zu wahren. Trotzdem bestätigte er, dass er ab 1. März 2020 für Tönnies tätig gewesen sei. Er habe das Unternehmen im Rahmen von drohenden Exportproblemen im Zusammenhang mit der Afrikanischen Schweinepest beraten.
Gabriel erklärte, er habe seine Arbeit mittlerweile beendet: „Diese Tätigkeit musste ich aufgrund einer schwierigen Erkrankung und einer dadurch für mich notwendig gewordenen komplizierten Operation zum 31. Mai 2020 beenden“. Für ihn sei zum damaligen Zeitpunkt nicht klar gewesen, ob und auch wann er seine beruflichen Tätigkeiten wieder aufnehmen könne.

Auch nach Corona-Skandal: Gabriel sieht Tätigkeit bei Tönnies nicht als Problem
Weder er noch seine Geschäftspartner sähen die frühere Beratungstätigkeit für die Firma Tönnies als problematisch an, erklärte der ehemalige Minister. Er habe die Medien-Anfrage „aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses im vorliegenden Fall“ beantwortet.
Firmenchef Clemens Tönnies, der selbst infolge des Corona-Skandals sein Amt beim FC Schalke mittlerweile niedergelegt hat, hatte sich laut „Panorama“-Recherchen persönlich um die Personalie Gabriel gekümmert. Wie aus Unterlagen, die dem Magazin vorliegen, hervorgeht, sollte der ehemalige Minister „seine weiten Kontakte für die Tönnies Gruppe zur Verfügung stellen und aktiv Projekte begleiten“. Dabei sei es insbesondere um den chinesischen Markt gegangen.
Aktuell steht Tönnies massiv unter Druck, nachdem es am Hauptstandort des Fleischkonzerns in Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen einen massiven Corona-Ausbruch gegeben hatte. Der Betrieb wurde vorübergehend geschlossen und vorläufig ein erneuter Lockdown für die Kreise Gütersloh und Warendorf angeordnet. In Warendorf ist dieser mittlerweile wieder beendet, in Gütersloh dauert er noch einige Tage an.

Gabriel kritisierte Fleischindustrie - trotzdem hat er mit Tönnies zusammengearbeitet
Anfang 2015 hatte Sigmar Gabriel - damals noch als Bundeswirtschaftsminister - das System der Ausbeutung in der deutschen Fleischindustrie als „Schande für Deutschland“ bezeichnet. Nach der Kritik verpflichteten sich die sechs großen Fleischkonzerne Deutschlands unter Federführung Gabriels, die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten in Deutschland zu verbessern.
Seit November 2019 ist Gabriel nicht mehr Mitglied des Bundestags. Er war von 2013 bis 2017 Bundesminister für Wirtschaft und Energie und bis März 2018 Bundesaußenminister. (AFP/cia) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.
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