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Kaum Todesfälle verhindert durch Lockdowns? Studie laut Experten unseriös

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Von: Lisa Klein

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Wurden durch den Lockdown in der ersten Corona-Welle kaum Todesfälle verhindert? Eine Studie dazu ist auf dem Prüfstand – Experten halten die Meta-Studie für unseriös.

„Lockdowns haben fast keine Corona-Todesfälle verhindert“, titelt bild.de aufgrund einer weltweiten „Rumms-Studie“, welche auf der Seite der Johns-Hopkins-Universität veröffentlicht wurde. Die Lockdown-Studie soll ergeben haben, dass die staatlich verordneten Maßnahmen in der ersten Corona-Welle quasi keinen Effekt auf die Anzahl der Corona-Toten hatte.

Doch die Studie hat bislang noch keiner wissenschaftlichen Kontrolle unterlegen und wirft zahlreiche Fragen auf. Zudem verleiten die Ergebnisse dazu, falsche Schlüsse zu ziehen. Experten halten die Lockdown-Studie aus verschiedenen Gründen für unseriös. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) fasst mehrere Experten-Meinungen zusammen, die kritisch auf die Studie blicken.

Neue Corona-Studie: Wurden durch den ersten Lockdown kaum Todesfälle verhindert?

Hinter der Studie stecken die drei Ökonomen Jonas Herby, Lars Jonung und Steve Hanke – also keine Mediziner, Epidemiologen oder Virologen. Die Meta-Studie fasst Daten von Einzelstudien und Arbeitspapieren zusammen. Die Autoren wollten mit dieser Studie Folgendes prüfen: Gibt es Belege für die Annahme, dass staatlich verordnete Lockdowns einen zusätzlichen Effekt auf die Covid-19-Sterblichkeit hatten? Verglichen mit den Maßnahmen, die durch die Bevölkerung ohnehin freiwillig umgesetzt wurden?

Die Studie stellt also nicht die Wirksamkeit von Maßnahmen wie Kontaktreduzierung, Maskentragen oder Handhygiene an sich infrage. Gegenstand der Untersuchung ist lediglich, inwieweit staatlich verordnete Maßnahmen helfen – zum Beispiel Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Schließungen von Einrichtungen. Die Studie beschränkt sich dabei auf Maßnahmen in der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020, also dem Beginn der Pandemie.

Impfungen gegen das Coronavirus und flächendeckende Teststrategien hat es damals noch nicht gegeben. Was in der Untersuchung außerdem nicht betrachtet wird: „Wir schließen Studien aus, die Fälle, Krankenhausaufenthalte oder andere Messgrößen verwenden“, heißt es explizit. Damit kann die Analyse nicht für Aussagen herangezogen werden, ob staatliche Maßnahmen zum Beispiel die Zahl der Corona-Infektionen oder die Menge an schweren Krankheitsverläufen beeinflussen.

Meta-Studie: Welche Auswirkungen hatten staatliche Maßnahmen auf die Anzahl der Corona-Toten?

Die Autoren wollen 18.590 Studien identifiziert haben, die sich potenziell mit ihrer Fragestellung befassen könnten. Infrage kamen bei genauerer Betrachtung nur 34 Studien, von denen schlussendlich lediglich 24 in die Meta-Analyse aufgenommen wurden – neben von Fachleuten begutachteten Studien auch nicht evaluierte Arbeitspapiere.

Skepsis gegenüber der Meta-Analyse gibt es allein bereits deswegen, weil die Gewichtung der herangezogenen Studien nicht eindeutig nachvollziehbar ist. Statistik-Professor Christoph Rothe von der Universität Mannheim twittert: „In der von Ökonomen verfassten Meta-Analyse [...] werden Studien von Nicht-Sozialwissenschaftlern (z.B. Epidemiologie) automatisch als ,von geringerer Qualitä´ eingestuft.“

Der Ökonom Andreas Backhaus kritisiert, dass einige der untersuchten Einzelstudien „nicht übermäßig überzeugend“ seien. Sie erhielten „in der Meta-Analyse jedoch ein sehr hohes Gewicht, treiben also das Gesamtergebnis“, twitterte der wissenschaftliche Mitarbeiter am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.

Neue Corona-Studie: Staatliche Lockdown-Maßnahmen sollen Todesrate kaum beeinflusst haben

Laut dem Ergebnis der Studie von Herby und seine Kollegen hatten die staatlich geregelten Maßnahmen weltweit im Vergleich zu Empfehlungen und freiwilligen Verhaltensänderungen der Bevölkerung kaum einen Effekt: In der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 sei die Covid-Todesrate durch verordnete Regelungen um nur 0,2 Prozent gesenkt worden.

„Es gab insgesamt ungefähr 300.000 Covid-19-Tote in Europa und den USA während der ersten Welle mit Lockdowns“, schreibt Herby auf Twitter. „Ohne Lockdowns wären es nach wissenschaftlichen Schätzungen 300.601 gewesen.“

In einem Artikel zur Meta-Analyse erläutert Herby, dass diese nicht zwangsläufig den Schluss zulasse, Lockdowns hätten in keinem Land der Welt etwas bewirkt. Die 0,2 Prozent beziehen sich auf alle staatlichen Maßnahmen zum Lockdown insgesamt. Einzelnen Regelungen hingegen wird in der Meta-Analyse durchaus ein deutlicher Effekt hinsichtlich der Todeszahlen zugeschrieben – etwa dem Maskentragen am Arbeitsplatz oder geschlossenen Clubs und Bars.

Lockdown-Studie: Forschung hat laut Experten wenig Aussagekraft

Besonders problematisch ist laut Experten, dass sich die Meta-Analyse auf den „Government Stringency Index“ der Universität Oxford bezieht. Doch dieser Index hat einen massiven Nachteil. Denn er beachtet immer nur die strengsten Maßnahmen, die egal auf welcher Verwaltungsebene in einem Land gelten.

Beispiel Deutschland: Haben Bundesländer – wie Baden-Württemberg mit der Corona-Verordnung – oder gar einzelne Landkreise zeitweise strengere Regeln, als sie bundesweit vorgesehen sind, behandelt der Stringency-Index das so, als würden die Maßnahmen deutschlandweit gelten. „Dieser Index kann die tatsächliche Effizienz verschiedener ergriffener Maßnahmen nicht objektiv bewerten“, bewertet Mobilitätsforscher Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin mit seinem Team.

Lockdown-Studie: Kaum Todesfälle verhindert? Experten mit scharfer Kritik

Die Berliner Mobilitätsforscher um Nagel sehen in der Studie von Herby und Kollegen „erste Ansätze“, um die Wirkung behördlicher Anordnungen besser zu verstehen, wie sie auf dpa-Anfrage schreiben. Das Team weist allerdings darauf hin, dass die deutsche Bevölkerung bereits während der ersten Corona-Welle ihre Mobilität eingeschränkt habe, „bevor die formalen Restriktionen begannen“.

Coronavirus - Über 100.000 Corona-Tote in Deutschland
Wurden durch den ersten Corona-Lockdown kaum Todesfälle verhindert? Eine neue Studie ist auf dem Prüfstand. (Symbolbild) © Julian Stratenschulte

Außerdem waren die Menschen wieder mehr unterwegs, bevor die Politik offiziell die formalen Restriktionen beendet habe. Eine Schwierigkeit – auch dieser Meta-Analyse – ist es also, herauszuarbeiten, welchen Anteil staatliche Regelungen am tatsächlichen Verhalten der Menschen hat.

Johns Hopkins Universität: Fakten für Lockdown-Studie möglicherweise verdreht?

Geraedts wirft den Autoren vor, mit einer „eklektischen Literaturzusammenstellung“ absichtlich versucht zu haben, die von Ihnen gewünschte Aussage zu belegen. Steve Hanke ist Professor für angewandte Wirtschaftswissenschaften an der Johns Hopkins University in Baltimore (US-Bundesstaat Maryland).

Allein die Art der Veröffentlichung ist bedenklich: Die Studie ist nicht in einem begutachteten Fachjournal erschienen, sondern Ende Januar als Paper auf dem Server der Hochschule. Durch die Veröffentlichung auf der Universitätsseite und nicht in einem Fachjournal „umgehen die Autoren die Begutachtung durch Fachleute (Peer Review), eine der wichtigsten Maßnahmen zur Qualitätssicherung in der Wissenschaft“, teilt der Virologe Friedemann Weber von der Universität Gießen der dpa mit.

„Der gute Ruf der Johns Hopkins Universität wurde genutzt, um diesem Arbeitspapier eine hohe Glaubwürdigkeit zu bescheinigen“, mutmaßt Experte Geraedts aus Marburg. Er wirft den Autoren vor, „bewusst nicht den Weg gewählt“ zu haben, ihre Methodik und die daraus erzielten Ergebnisse und Interpretationen von unabhängigen Wissenschaftlern überprüfen zu lassen.

Dazu kommt: Herby schrieb in der Werbung für die Studie damals auf Twitter: „Lockdowns sind für Verlierer.“ In der Vergangenheit ist er damit aufgefallen, staatliche Corona-Maßnahmen etwa in Italien oder Deutschland öffentlich als „faschistisch“ zu bezeichnen.

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