Kommentar zum „Winnetou“-Verbot: Falsch und völlig übertrieben
Der Ravensburger Verlag verbannt „Winnetou“-Bücher und nimmt diese aus dem Handel. Das ist der falsche Weg, um mit Problemen wie Unterdrückung und Rassismus umzugehen, kommentiert Daniel Hagmann.
Die Realität ist meist härter als man sie Kindern, wie etwa jungen Lesern der „Winnetou“-Bücher, zumuten kann. In der Auseinandersetzung zwischen Urvölkern und bis dahin landfremden Eroberern geht es selten um gegenseitiges Verständnis, Frieden oder gar Blutsbrüderschaft. Vielmehr bestimmen Grausamkeit, Leid, Unterdrückung und Gewinnstreben das „Zusammenleben“ indigener Völker und Eindringlingen. In Teilen der Welt ist diese Ausbeutung noch heute in vollem Gange.
Dass der Ravensburger Verlag nun aber wegen angeblich verharmlosender Klischee-Darstellung und Rassismus-Vorwürfen im Internet gleich mehrere „Winnetou“-Bücher aus dem Handel nimmt, ist trotzdem ein Fehler. Dass die Geschichten um den seit Jahrzehnten beliebten Apachen-Häuptling keinen Anspruch auf historisch korrekte Darstellung erheben, zeigt schon allein die Gattungsbezeichnung „Roman“ - und macht die Kritik daran zumindest fragwürdig.
„Winnetou“-Bücher in der Kritik: Rassismus-Debatte hat Fehler
Der Leser hat es in den Abenteuern von Karl May in erster Linie mit fiktiven Figuren und Ereignissen zu tun. Und - entgegen der Kritik - komplett außen vor bleiben die historischen Konflikte bei den „Winnetou“-Büchern ebenfalls nicht. Dass die Freundschaft von Old Shatterhand und Winnetou sowie das Bild von Letzterem als „Der edle Wilde“ romantisiert, überzeichnet und stereotyp ist, muss jedoch kein Problem sein - wie es der Ravensburger Verlag sieht und deshalb die Bücher aus dem Verkehr zieht.
Vielmehr lädt diese einseitige Darstellung der Figuren in den „Winnetou“-Büchern den Leser dazu ein, über sein eigenes Verhältnis zu Menschen anderer Herkunft, den Umgang mit ihm fremden Kulturen und Bräuchen sowie sein Handeln gegenüber der Natur nachzudenken. „Winnetou“ kann damit Gesprächsanstoß dieser Themen - wie zum Beispiel Rassismus - sein. Etwa zwischen vorlesenden Eltern und ihren Kindern. Der von einem Heilbronner Autoren-Duo verfasste Thriller „Incendium“ dagegen ist zwar ebenfalls lesenswert, eignet sich jedoch nicht als Gute-Nacht-Geschichte für den Nachwuchs.
„Winnetou“-Bücher voll von Rassismus und Klischees?
Ein Verbannen der „Winnetou“-Bücher aus dem Handel seitens des Ravensburger Verlags tabuisiert nun vielmehr die Auseinandersetzung mit unangenehmen, aber immer noch lebendigen Themen wie Rassismus und Ausbeutung. Und stellt damit letztendlich die unerlässliche und kritische Diskussion selbst an den Marterpfahl.
Das ist die Figur Winnetou
Winnetou ist ein vom Schriftsteller Karl May (1842–1912) erfundener Häuptling der Mescalero-Apachen. Als stereotyper Charakter verkörpert er den „edlen Wilden“, der, im Einklang mit der Natur, für Gerechtigkeit und Frieden sorgt. Viele der in den Romanen und Filmen geschilderten Abenteuer erlebt Winnetou zusammen mit seinem Blutsbruder Old Shatterhand. Besonders populär wurde die Figur durch die „Winnetou“-Filme in den 1960er-Jahren, in denen Pierre Brice den Apachen-Häuptling dargestellt hat.
Wenn Themen wie Rassismus in Kinder-Büchern gar nicht mehr angerissen werden dürfen, ist das eine viel gruseligere Realitäts-Verzerrung als die zur Auseinandersetzung einladende, romantisierte Darstellung der historischen Sachverhalte in den „Winnetou“-Büchern. Zuletzt sorgte auch das Verbannen des Ballermann-Songs „Layla“ von einigen Volksfesten für Verwunderung. Der Heilbronner Musiker Micha von der Rampe etwa findet diese Lied-Debatte völlig übertrieben.