Was passiert, wenn die Laufzeit bei Atomkraftwerken verlängert wird?
Um die Stromversorgung in Deutschland zu sichern, wird nun wieder über die Kernkraft diskutiert. Kommt es zur Verlängerung, dem Reserve- oder dem Streckbetrieb? Und was bedeutet es konkret?
Die aktuelle Situation lässt den Politikern dieses Landes keine andere Wahl: Es muss sich über die Energieversorgung Gedanken gemacht werden, wenn wir im Winter nicht im Dunkeln in unseren Häusern und Wohnungen sitzen möchten. Zwei von drei Atomkraftwerken sollen nun, laut Wirtschaftsminister Robert Habeck, in Reserve gehalten werden.
Sein Entschluss basiere dabei auf dem Ergebnis des Stresstests, welches ergeben hat, dass das Stromnetz in Deutschland zwar allgemein stabil sei, es im Winter bei einer hohen Belastung allerdings ohne die Atomenergie zu Stromausfällen kommen könnte.
Wie läuft der Stresstest ab?
Ein Stresstest beginnt, wenn die Bundesregierung die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland mit dem Stresstest beauftragt. Die Netzbetreiber berechnen nun verschiedene Szenarien, die die Stabilität des deutschen Stromnetzwerks prüfen. Ein Szenario wäre zum Beispiel, dass Niedrigwasser in den Flüssen herrscht oder keine Steinkohle geliefert werden kann. Der Stresstest ermittelt, wo es wann mit der Stromversorgung knapp werden könnte.
Regierungsparteien ziehen unterschiedliche Schlüsse aus dem Stresstestergebnis
Eine logische Konsequenz ist nun laut Habeck, dass zwei der drei Kernkraftwerke in Deutschland als Reserve bereitgehalten werden. Die Sozialdemokraten und Grüne stärken dem Wirtschaftsminister bei seinem Vorschlag den Rücken.
Anders die FPD: Die Liberalen fordern nämlich mehr, als nur einen Reservebetrieb. Aus Sicht der FDP wäre der Streckbetrieb die sinnvollere Lösung. Neulich wirft Finanzminister Lindner sogar eine Laufzeitverlängerung bis 2024 in den Raum.
Laut Habeck soll bis April 2023 der Reservebetrieb herrschen
Neckarwestheim 2 und Isar 2 – so heißen die Atomkraftwerke, die bis April auf Bereitschaft sein sollen. Was heißt das aber konkret? Zuallererst heißt das, dass ab dem 1. Januar kein Strom mehr durch Atomenergie produziert wird. Für die Mitarbeiter und das Atomkraftwerk selbst heißt es dann abwarten. Abwarten, ob die Regierung das Go gibt, den Betrieb aufzunehmen.

Das passiert dann, wenn der Strom knapp wird und die Atomkraftwerke als Energiequelle genutzt werden müssen. Kritik gibt es seitens der FDP: „Kernkraftwerke lassen sich nicht schnell hoch- und runterfahren“, sagt Torsten Herbst, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP. Und auch Experten halten beispielsweise das AKW in Neckarwestheim als ungeeignet für den Reservebetrieb.
Freie Demokraten fordern stattdessen den Streckbetrieb
Die Liberalen sprechen sich hingegen für den Streckbetrieb aus. BW24 berichtet, dass es in der Ampelkoalition jetzt richtig krachen könnte. Bei einem Streckbetrieb produzieren Atomkraftwerke so lange Strom, wie es die Brennstäbe hergeben. Nach drei bis fünf Jahren ist die Einsatzzeit für ein Brennelement normalerweise vorbei und es wird durch ein neues ausgetauscht. Beim Streckbetrieb findet dieser Austausch nicht statt und es wird durch das alte Brennelement, zwar immer weniger effektiv, aber immerhin noch weiterhin Strom produziert. Doch auch über den Streckbetrieb wird gestritten.
Was würde die Laufzeitverlängerung bedeuten?
Kürzlich lässt Lindner erst eine mögliche Laufzeitverlängerung der Atomenergie bis 2024 anklingen. Auch CDU-Chef Merz appelliert an den Bundeskanzler, die Atomkraftwerke am Netz zu lassen. Seine Partei fordert sogar eine Verlängerung der Laufzeit von fünf Jahren. Um die Laufzeiten zu verlängern, braucht es zuerst einmal eine Gesetzesänderung. Nach aktuellem Atomgesetz wird es Betreibern nämlich verboten, nach dem 31. Dezember 2022 noch Strom mit einem Atomkraftwerk zu produzieren.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) empfiehlt keine Laufzeitverlängerung, da Probleme, wie „verfassungsrechtliche Schwierigkeiten und Aspekte der Sicherheit für Mensch und Umwelt“, aufträten. Befürworter werben vor allem mit einer Versorgungssicherung und mit sinkenden Strompreisen, die durch den zusätzlichen Strom aus der Atomenergie erzielt werden könnten.
Wie lässt sich eine Verlängerung praktisch umsetzen?
Wie bereits erwähnt, wäre zuerst eine Änderung des Atomgesetzes erforderlich. Des Weiteren werden neue Brennelemente benötigt. Problem: Im besten Fall dauert die Beschaffung der Brennelemente etwa 15 Monate, im Normalfall 18 bis 24. Eine Entlastung für das Stromsystem könne somit frühestens im Winter 2023/24 eintreten.
Außerdem fehlt Fachpersonal bei den Betreibern, aber auch Gutachter-Organisationen und Aufsichtsbehörden. Ein weiteres Problem könnte die zusätzliche Menge Atommüll darstellen, der nicht mehr in deutschen Endlagern gelagert werden kann, da der Platz nicht ausreicht.
Was passiert nun mit den Atomkraftwerken in Deutschland?
Zunächst einmal müssen sich die Regierungsparteien einig werden. Denn der Vorschlag, den Reservebetrieb aufzunehmen, reicht der FDP nicht aus. Mit den Grünen könnte die Debatte zur Verlängerung allerdings schwer werden: „Die Diskussion um die Verlängerung rüttelt an den Grundfesten unserer Partei“, heißt es in einem Antrag für den kommenden Parteitag im Oktober. „Die Überwindung der Kernkraft gehört zum Zentrum unserer Programmatik.“
Die SPD unterstützt Habeck in seinem Vorschlag. Als Minderheit in der Regierung wird es für die Liberalen also schwierig, ihre Ziele durchzusetzen. Auch die Meinungen in der Bevölkerung zum Thema Atomenergie gehen auseinander, wie eine Straßenumfrage in Heilbronn ergibt.