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Deutschland als Standortnachteil? Branchenverband VDA schlägt Alarm

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Von: Sebastian Oppenheimer

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Hohe Lohn- und Energiekosten: Der Standort Deutschland wird zunehmend unattraktiver für die deutsche Automobilindustrie. Der Branchenverband VDA schlägt Alarm.

Aktuell ist von der schönen globalen Unternehmenswelt nicht viel übrig. Die Lieferketten sind gestört oder sogar unterbrochen – weshalb so mancher Kunde aktuell eine ganze Weile auf sein Fahrzeug warten muss – und an die Stelle der wirtschaftsliberalen Vision eines weltweiten Freihandels treten immer mehr Protektionismus-Mauern. Doch irgendwann wird sich auch diese Lage wohl beruhigen und der internationale Handel wieder Fahrt aufnehmen. Ob das in dem bisher gekannten Umfang geschehen wird, steht noch in den Sternen. Aber die Volkswirtschaften sind zu verwoben, als dass nationale Alleingänge Sinn ergäben. Nationen wie der ehemalige Exportweltmeister Deutschland sind auf einen florierenden Außenhandel angewiesen, um ein Wirtschaftswachstum zu generieren.

Autoproduktion in Deutschland unattraktiv? Branchenverband VDA schlägt Alarm

China befindet sich in einer ähnlichen Situation. Auch wenn das Reich der Mitte langfristig eine größtmögliche Autarkie vom Weltmarkt anstrebt, gilt nach wie vor die Prämisse „von China für die Welt“. Die Frage ist, wie Deutschland sich im anstehenden globalen Wettstreit schlagen wird. Ein entscheidender Faktor im Streben um den Platz an der Verkaufssonne sind die Lohnkosten und da hat Deutschland schlechte Karten, vor allem im Vergleich zu China. Im Reich der Mitte schießen neue Automarken seit einigen Jahren fast wie Pilze aus dem Boden. Inzwischen erzielen die China-Fahrzeuge auch in Crashtests Bestnoten, was das Selbstbewusstsein der Chinesen stärkt, die ambitionierte Preise für ihre Autos verlangen – und damit hierzulande wohl auch den ein oder anderen Kunden vergraulen.

Autoproduktion in Deutschland unattraktiv? Stundenlöhne in China deutlich geringer

„In unseren Zahlen gehen wir von vier- bis fünffachen Stundenlöhnen in Deutschland gegenüber einem gemittelten Wert für China aus. Das ist in meinen Augen eine konservative Einschätzung. Üblicherweise werden Bruttomonatslöhne verglichen, allerdings ist zu beachten, dass die Arbeitszeiten je Monat unterschiedlich sind. Für unsere Betrachtung legen wir 40 Arbeitsstunden pro Woche in der Produktion zugrunde. Chinesische Arbeiter haben aber wesentlich weniger Urlaubstage im Jahr als die deutschen Angestellten. Offiziell sind es fünf bis zehn Tage pro Jahr, vertragliche Einzelregelungen können davon allerdings erheblich abweichen“, verdeutlicht Heiko Weber von der Unternehmensberatung Berylls. Nach Einschätzung eines Experten können chinesische Hersteller die Konkurrenz bei den Produktionskosten eines E-Autos um bis zu 10.000 Euro schlagen.

Produktion von Elektrofahrzeugen bei Volkswagen
Wird die Autoproduktion in Deutschland zu teuer? Der Branchenverband VDA schlägt Alarm. (Symbolbild) © Kirchner-Media/Imago

Autoproduktion in Deutschland: Hohe Energiekosten vergrößern den Standortnachteil

Die Münchner Strategieberatung hat noch weitere Hiobsbotschaften im Köcher, wenn es um das Produzieren der Autos geht. Laut den Analysen der Experten lag der Energiekostenanteil pro Fahrzeug in Europa im Jahr 2022 bei etwa 800 Euro. Auch wenn sich die Lage auf dem Energiesektor aktuell etwas entspannt, bleibt das Niveau dieses Kostenfaktors hoch und erhöht damit den Standortnachteil der deutschen Autobauer. Der Vergleich mit dem Jahr 2021, als pro Fahrzeug im Durchschnitt nur 300 Euro angefallen sind, macht die gestiegene finanzielle Belastung deutlich, da hierzulande die Energiekosten zu den höchsten in Europa gehören.

Zumal die Werte für die USA oder China stets weit darunter liegen. „Das Jahr 2022 markiert einen Zeitenwechsel im Bereich der Energiekosten für die Automobilindustrie“, erklärt Berylls-Energieexperte Dr. Alexander Timmer und unterfüttert seine These gleich mit einem Beispiel, dessen Zahlen wenig erfreulich sind: In Spitzenzeiten lag der Preisunterschied für eine Megawattstunde Strom zwischen den USA und Europa bei unglaublichen 800 Euro. Aktuell haben sich die Zahlen wieder angenähert, allerdings ist die MWh in den USA immer noch zwischen 200 und 300 Euro günstiger als in Europa. 

Autoproduktion in China bei Lynk & Co
Autoproduktion in China: Geringere Löhne im Vergleich zu Deutschland senken die Herstellungskosten (Symbolbild) © VCG/Imago

Autoproduktion in Deutschland: Standort international nicht wettbewerbsfähig?

Eine Umfrage des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA) zeigt die Auswirkungen dieser Parameter. Demzufolge halten neun von zehn Unternehmen den Standort Deutschland derzeit international für nicht wettbewerbsfähig. Die Ergebnisse Antworten der 116 befragten Unternehmen malen ein düsteres Bild: Wollten im September 2022 noch 45 Prozent ihre Investitionen verschieben, sind es derzeit nur noch 28 Prozent. Allerdings steigt der Anteil der Unternehmen, die ihre Investitionen ins Ausland verlagern oder diese gänzlich streichen wollen: 28 Prozent wollen das Geld anderen Märkten anlegen, das sind sechs Prozent mehr als im September des vergangenen Jahres, 14 Prozent streichen die Investitionen ganz (September 2022: neun Prozent). Und wie schaut es mit Investitionen in Deutschland aus? Das planen nur zwei Prozent. Ein verehrender Wert.

Autoproduktion in Deutschland: Auch Fachkräftemangel eine große Herausforderung

Laut den Zulieferern und dem automobilen Mittelstand stellen derzeit die hohen Strompreise sowie Arbeits- und Fachkräftemangel die größten Herausforderungen dar. Die Konsequenz ist fatal: Einige Unternehmen planen die Investitionsverlagerung ins Ausland. Damit fallen vor allem im ländlichen Raum, wo viele der Tier III- und IV Zulieferer sitzen, Arbeitsplätze weg. Das sind schlechte Nachrichten für den hiesigen Arbeitsmarkt. Denn das Rückgrat der deutschen Automobilindustrie besteht nicht nur aus den großen Zulieferern wie Bosch, Continental oder ZF, sondern eben auch aus den nachgelagerten Gliedern der Produktionskette. Wenn es in diesen Bereichen an fachlicher Expertise mangelt, Teile zu spät oder nur in unzureichender Qualität produziert werden, stockt das komplexe Uhrwerk der deutschen Autobauer.

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Autoproduktion in Deutschland: VDA fordert Abbau der Bürokratie

„Immer mehr Unternehmen betrachten den Standort Deutschland als international nicht wettbewerbsfähig, das ist kein gutes Zeugnis für die deutsche Industriepolitik. Das Ergebnis zeigt einmal mehr, dass wir dringend ein ambitioniertes Standortprogramm brauchen: weniger Bürokratie, mehr Handelsabkommen, ein konkurrenzfähiges Steuersystem, einfachere und schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren. Darüber hinaus muss unsere Energie- und Rohstoffversorgung mit internationalen Partnerschaften abgesichert werden, wenn wir Deutschland und Europa unabhängiger machen wollen. Bei all dem braucht die Politik mehr Tempo und Entschlossenheit, sonst drohen wir international zunehmend den Anschluss zu verlieren“, schlägt die VDA-Präsidentin Hildegard Müller Alarm. Wenn der Zug erst abgefahren ist, ist es schwierig, das Kapital wieder nach Deutschland zurückzuholen. (Wolfgang Gomoll/press-inform)

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