Viele Bedürftige, weniger Spenden: Tafeln in Heilbronn kämpfen gegen riesige Probleme
Rund 10.000 Bedürftige sind im Stadt- und Landkreis Heilbronn regelmäßig auf das Angebot der Tafeln angewiesen. Doch die Lebensmittelspenden gehen zurück, während die Zahl der Bedürftigen steigt.
Matthias Weiler, Abteilungsleiter der Heilbronner Tafeln, schaut mit gütigen braunen Augen hinter seiner schlichten Brille hervor und lächelt freundlich. Der 62-Jährige und sein Team, das unter anderem aus 280 Ehrenamtlichen besteht, managen 18 Ausgabestellen, an denen rund 10.000 Bedürftige mit vergünstigten Lebensmitteln versorgt werden. „Wer bei der Tafel einkauft, zahlt nur ein Viertel des regulären Verkaufspreises“, erklärt Weiler im Gespräch mit echo24.de.
Besonders Senioren, Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende und Personen, die aufstocken müssen, also deren Gehalt aus Vollzeitarbeit nicht ausreicht, um die Grundsicherung zu erreichen, machten von dem Angebot Gebrauch. Außerdem seien auch viele Geflüchtete unter den Tafelkunden. „Seit der Ukraine-Krise haben wir hier rund 1000 Personen mit Tafelausweis mehr, die unsere Unterstützung benötigen. Und hinter jedem Tafelausweis steht eine Familie“, erläutert Weiler. „An vielen Ausgabestellen hat sich die Zahl der Kunden von heute auf morgen fast verdoppelt. Das hat uns natürlich vor riesige Probleme gestellt.“
„Nachhaltigkeitskonzepte“ führen zu Rückgang der Lebensmittelspenden: Bedürftige leiden
Diese Probleme hingen einerseits mit der steigenden Zahl der Bedürftigen durch Krieg und Krisen zusammen, andererseits beklagt die Tafel auch einen Rückgang der Lebensmittelspenden. „Wir sehen, dass viele Händler das Thema Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen stärker forcieren, sprich den Abverkauf der Produkte, die nicht mehr in den regulären Markt gehen, fördern. Das ist eben die Ware, die früher wir bekommen haben.“ Diese Nachhaltigkeitskonzepte seien Teil einer begrüßenswerten Entwicklung, betont Weiler. Nichtsdestotrotz brächten sie die Tafeln in eine schwierige Lage.
„Wir werden niemanden wegschicken“: Tafeln müssen sich mit neuen Bedingungen arrangieren
„Diese Situation hat uns alle die letzten Monate vor eine riesige Herausforderung gestellt“, erzählt Weiler, der den Heilbronner Tafeln schon seit 14 Jahren als Abteilungsleiter vorsteht. „Wir haben definitiv beschlossen: Wir werden niemanden, der zu uns kommt und um Hilfe bittet, wegschicken. Zur Not müssen wir den Kuchen eben in kleinere Stücke teilen.“
Trotz dieses Grundsatzes habe es auch schon enttäuschende Situationen im Tafelalltag gegeben: „Wenn über hundert Kunden kommen und nach dem hundertsten Kunden kein Obst mehr da ist, dann ist die Enttäuschung natürlich groß. Da leiden dann auch unsere Ehrenamtlichen drunter. Die meinen es nur gut und wollen den Kunden etwas geben und sie zufriedenstellen.“

Zwischen leeren Tafel-Regalen und Kinderfotos: „Manchmal ist es enttäuschend“
Einer dieser Ehrenamtlichen ist Dave Baumgärtner. „Manchmal ist es enttäuschend“, sagt der Heilbronner mit ruhiger Stimme und rückt gedankenverloren mit seiner tätowierten Hand das Kopftuch zurecht, das seinen schwarzen langen Zopf zurückhält. „Wir stehen hier und warten auf Ware und manchmal kommt nur ein Drittel von dem rein, was wir sonst bekommen haben.“
Die Heilbronner Tafeln fahren täglich mit sieben Fahrzeugen 80 Geschäfte an, um Spenden abzuholen. „Die schwierige Situation hat Anfang des Sommers des letzten Jahres begonnen“, erklärt Baumgärtner. Ein Ende dieser Entwicklung sei nicht in Sicht. Man müsse sich damit arrangieren. „Wir können ja echt nichts machen. Die Kunden kommen voller Erwartung in den Laden rein. ‚Habt ihr was da?‘, wollen sie wissen. Manchmal zeigen sie uns Bilder von ihren Kindern, wenn es beispielsweise um Pampers geht. Wenn du dann ‚nein‘ sagen musst, dann tut das schon weh.“
Ahmed Suham aus Heilbronn ist langjährige Tafel-Kundin. „Es kommen viele Leute und es gibt weniger Sachen. Auch wird die Ware teurer. Wenn ich zur Tafel komme und es gibt bestimmte Waren nicht, dann hoffe ich einfach, dass sie beim nächsten Mal vorrätig sind. Hoffnung zu haben ist wichtig – Hoffnung, dass es besser wird.“
„Mit finanzieller Armut geht soziale Vereinsamung einher“: Armut als Teufelskreis
„Ich kann es nur immer wieder betonen: Wir als Tafeln sind Unterstützer und keine Versorger. Die Armen zu versorgen, das ist Aufgabe des Staates“, stellt Weiler klar. „Dadurch, dass wir die Ware zu Preisen von 25 Prozent der ortsüblichen Preise verkaufen, haben unsere Kunden eine Unterstützung von drei Vierteln des regulären Einkaufspreises.“ Diese sei in vielen Fällen nötig, denn „das Bürgergeld deckt vieles nicht ab, das ein Mensch zum Leben braucht.“

Der Abteilungsleiter wirkt nachdenklich. „Natürlich verhungert hier bei uns niemand, aber zum Leben gehört noch viel mehr, als nur zu essen. In der Bibel steht schon: ‚Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.‘ Das ist der Punkt, wo wir sagen: Wir wollen unterstützen, dass ein Kind vielleicht auch einmal ein Instrument lernen oder an einem Konfirmanden-Ausflug oder einer Schulveranstaltung teilnehmen kann.“ Denn, betont Weiler, „das kostet alles Geld, für das im Bürgergeld nichts vorgesehen ist“.
Das sei gravierend. „Man sagt in der Diakonie: Die finanzielle Armut ist das eine. Viel schlimmer ist, dass mit der finanziellen Armut eine soziale Vereinsamung einhergeht.“ Um diesem Teufelskreis, zumindest ein Stück weit, entgegenzuwirken, kämpfen Weiler und sein Team weiter. Sie geben nicht auf, akquirieren aktiv neue Spender und sind mit offenem Ohr und offenem Herzen auch in dieser schweren Zeit für ihre Kunden da.