Heilbronner Wunder: Obdachloser erhält neues Leben - in nur zwei Wochen

Wie ein Wunder: Jozef Kwiecinsk lebte in seinem Auto und in einem Hühnerstall. Eine kurze Begegnung sorgt für einen kompletten Lebenswandel.
Jozef Kwiecinski weiß, wie es ist, ganz unten zu sein. Einerseits prasselten private Schicksalsschläge auf ihn nieder. Und dann kamen noch berufliche Fehlentscheidungen in seiner Selbstständigkeit als Kfz-Restaurator im Raum Heilbronn dazu. Finanziell wurde es in seinem Leben immer düsterer. Der Schuldenberg des heute 70-Jährigen wuchs. Und die Sorgen. Das Geld reichte nicht einmal mehr für eine Unterkunft. Kwiecinski wurde obdachlos.
„Ich schlief in meinem Auto oder einem alten Hühnerstall in Beilstein-Billensbach“, erzählt Kwiecinski, den seit der Kindheit alle „Joe“ nennen. Und damit befand sich das Leben des Heilbronner Obdachlosen in einem Teufelskreis: Auf Bewerbungen hagelte es nur Absagen. Für einen rheumageplagten Mann im Rentenalter hat die Leistungsgesellschaft offenbar keinen Platz mehr. Zum Start von 2022 drohten ihm sogar 20 Tage Haft, da er mit seinen Zahlungen im Rückstand war.
Heilbronn: Neues Leben für Obdachlosen dank Hilfe-Wunder
Doch mitten in der vierten Corona-Welle hat die Woge der Solidarität eines Hilfe-Teams aus dem ganzen Raum Heilbronn Kwiecinskis Leben aus dem Tief hinauskatapultiert. Initiator der Hilfe-Aktion für den Obdachlosen: der Ilsfelder Masseur und Unternehmer Oliver Fischer. Der 42-Jährige berichtet: „Joe und ich kannten uns nur vom Sehen. Mitte Dezember kam er zu mir ins Studio, fragte, ob ich einen Schlafplatz für ihn über die Feiertage wüsste. Sein Hab und Gut hatte er lediglich in einer Plastiktüte bei sich.“ Denn: Entgegen anderer Meinungen ist die Unterkunft für Obdachlose in Wohnheimen nicht kostenlos.
Als sich Fischer mit Kwiecinskis Leben und dessen Obdachlosigkeit im Landkreis Heilbronn beschäftigte, ließ ihm dessen Schicksal keine Ruhe mehr. In privaten Facebook-Posts machte er unter dem Titel „Mein Freund Joe“ auf die Situation des Obdachlosen aufmerksam. Die Reaktionen und die Bereitschaft zur Hilfe waren enorm. „Rasch hatte ich 300 Nachrichten von Freunden, die unbedingt helfen wollten.“ Manche spendeten Geld, andere Möbel, einige brachten Nahrungsmittel vorbei – und einer schenkte sogar 120 Liter Heizöl.
Heilbronn: Hilfe fürs Leben vor der Haustür
Fischer: „Jeder gab, soviel er konnte und wollte.“ Wenn jeder ein Sandkorn in die Waagschale wirft, ergibt das einen Berg der Solidarität. Ein ähnliches Beispiel von solch positiver Energie haben kürzlich auch zwei Veranstalter aus dem Raum Heilbronn gezeigt: Sie organisierten ein Benefiz-Festival als Hilfe für die Opfer der verheerenden Flut-Katastrophe im vergangenen Sommer in Westdeutschland.

Mittlerweile hatte Fischer selbst Hilfe in die Wege geleitet und eine Wohnung für den obdachlosen „Joe“ in Ilsfeld-Auenstein bei Heilbronn aufgetrieben. Diese stand zuvor leer, hat ihre besten Jahre bereits hinter sich, aber: „’Joe’ hat sich sofort daran gemacht, grobe Mängel beseitigt. Man darf die Menschen nicht durchs Raster fallen lassen. Sobald sie eine Aufgabe haben, entwickeln sie wieder Selbstwertgefühl“, sagt Fischer. Wie es ist, wenn man durch‘s Raster fällt wollte vor einigen Jahren bereits auch ein echo24.de-Reporter wissen: In einem Selbstversuch verbrachte er eine Nacht in der Obdachlosen-Unterkunft.
Die Spenden waren damit also durchaus auch Hilfe zur Selbsthilfe. Fischer: „Das zeigt, welche Power entsteht und welches Leid man lindern kann, wenn alle zusammenhalten. Die Menschen waren froh, in all den Negativ-Corona-Nachrichten der vergangenen Monate Teil von etwas Positivem zu sein, das allein durch ihre jeweilige Hilfe entstanden ist. Und das verbessert das Leben direkt, vor Ort, in ihrer Heimat, im Raum Heilbronn.“
Mit Hilfe-App für besseres Leben im Raum Heilbronn
Nach der gelungenen Aktion plant Fischer nun, eine Hilfe-App ins Leben zu rufen. Dort sollen Bedürftige ihr Anliegen eintragen können. Und die Menschen aus der direkten Nachbarschaft können sehen, wie sie schon mit kleinen Beiträgen vieles zum Besseren wenden können.
Obdachlosigkeit in Deutschland
Obdachlosigkeit bedeutet, dass ein Mensch keinen festen Wohnsitz hat. Die Person verbringt ihr Leben im öffentlichen Raum, in Notunterkünften oder im Freien. In Zeiten von Wirtschaftskrisen, wie derzeit während der Corona-Pandemie, steigt die Zahl der Obdachlosen an. Aufgrund der immer weiter steigenden Immobilien- und Mietpreise wird es für eine zunehmende Anzahl an Menschen schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) leben derzeit knapp 50.000 Menschen in Deutschland auf der Straße. Rund 80 Prozent davon sind Männer.
Dank der Spenden sind die dringendsten Schulden Kwiecinskis bezahlt. Die drohende Haft bleibt ihm zum Glück erspart. Und kurz vor dem Jahreswechsel auf 2022 gab‘s dann die nächste freudige Nachricht im Leben des ehemaligen Obdachlosen: Der 70-Jährige erhielt die Zusage, als Hausmeister in einem Seniorenheim in Abstatt bei Heilbronn zu arbeiten. Kwiecinski: „Die Hilfsbereitschaft der Menschen freut mich extrem. Ich hätte nicht gedacht, dass sich mein Leben in zwei Wochen derart ändern kann.“ Das gibt Zuversicht für die kommenden Monate im noch jungen Jahr 2022.