Nein, mein Kind kann sich nicht einfach zusammenreißen!
Max (7) ist Autist. Seine Behinderung ist unsichtbar. Wenn Max in der Öffentlichkeit die Nerven verliert, müssen sich seine Eltern oft gemeine Belehrungen anhören.

"Kann das Kind sich nicht mal normal verhalten?", "Können Sie das nicht besser erziehen?" Diese Fragen sind für alle Eltern unangenehm. Wenn der Nachwuchs aber wirklich nicht kann, dann tut das einfach weh. Jedes Mal. Michael* (41)hört das ständig. Sein Sohn Max* zieht häufig Blicke auf sich. Aber nicht etwa, weil er ein auffälliges Erscheinungsbild hat. Er sieht aus wie Siebenjährige eben aussehen. Aber sein Verhalten ist anders. Max sitzt nicht immer still, wenn er sollte. Manchmal ist er sehr laut. Und wenn es ihm zu eng wird, kann er schon mal komplett die Nerven verlieren. Nein, Max kann sich dann nicht "einfach mal" zusammenreißen. Er hat eine unsichtbare Behinderung. Max ist Autist.
"Manchmal wünscht man sich fast, das eigene Kind hätte eine deutlich sichtbare Behinderung"
Wenn man's nicht weiß und Max in seinem gewohnten Umfeld kennenlernt, dann ist da nichts Auffälliges. Der junge Heilbronner zeigt stolz sein Kinderzimmer, berichtet von seinen Lieblingsspielsachen, klettert auf das Stockbett. Er schläft oben, unten seine kleine Schwester. Was soll schon mit ihm sein? "Eigentlich ist genau das das Problem" sagt sein Vater im echo24.de-Gespräch. Sein Lächeln sagt, wie sehr er seinen Sohn liebt, aber auch wie schwer alles manchmal ist. "Man sieht es eben nicht. Viele kennen Autimus gar nicht - und selbst wenn man ihnen erklärt, was das bedeutet, verstehen sie es trotzdem nicht."
Vater Michael erklärt: "Weil Max oft 'normal' - ich hasse dieses Wort! - wirkt, können sie nicht begreifen, dass er anders ist." Ständig müssen sich die Eltern rechtfertigen. "Das treibt einen mit der Zeit so weit, dass man sich schier wünscht, das eigene Kind hätte eine sichtbare Behinderung. Da stellen die Leute keine gemeinen Fragen, und vor allem diskutieren sie nicht, ob das Kind überhaupt eine Behinderung hat. Wie oft wir uns schon anhören mussten, Max sei einfach hyperaktiv..."
Kaum Hilfe für Autisten: Schulen und Kindergärten sind überfordert
Und bis überhaupt klar war, was es ist, das ihren Sohn so besonders macht, vergingen viele schwere Jahre. Max' Vater berichtet: "Im Kindergarten wusste er sich manchmal nicht anders zu helfen und ist körperlich aggressiv gegenüber anderen Kindern geworden. Schlagen, kratzen, beißen... " Ganz alltägliche Situation können heftige Reaktionen auslösen. Michael erklärt an einem Beispiel: "Vor dem Stuhlkreis sollen alle Kinder nochmal Hände waschen gehen. Schwupp, alle laufen durcheinander, es gibt keine sinnvolle Reihenfolge am Waschbecken, kein System und es wird eng." Für viele Autisten ist das der pure Albtraum. Sie lieben Ordnung, feste Abläufe und Regeln. Bis Max formulieren könnte, was ihn stört, hat er bereits reagiert. "Viele Kindergärten und Schulen sind damit schlicht überfordert. Für Autisten gibt's viel zu wenige Experten und Anlaufstellen."
Autana-Stiftung Heilbronn: Endlich Entlastung für Familien in denen es Autismus gibt
Gabriele Dehm kennt das alles. Ihre Tochter ist ebenfalls Autistin. Heute ist sie erwachsen, aber zu Kindergarten- und Schulzeit war's sehr schwierig: "Es gab einfach nichts. Nur wenige konnten uns helfen. Auch Schulen für Kinder mit Behinderung kennen sich mit dem Autismusspektrum oft nicht genügend aus." Und nach der Schule ist längst nicht Feierabend. Der Autismus prägt den kompletten Alltag einer Familie, denn kleinste Abweichungen von Gewohnheiten können für Autisten - und deren Angehörige - zur Qual werden. Dann wird möglicherweise herumgeschrien und um sich geschlagen. Die Autana-Stiftung hilft. Dehm hat sie selbst ins Leben gerufen, um betroffenen Familien im Alltag stundenweise eine Stütze zu sein. Sie sagt: "Kennst du einen Autisten, kennst du nur GENAU einen Autisten." Was das heißen soll erklärt sie so: "Das Autismusspektrum ist riesig. Die Ausprägung und wie sehr sie das Leben der Betroffenen beeinflusst, ist ganz individuell - und genau darauf gehen wir ein."
Autismus: Der Alltag hält immer Überraschungen bereit
Max geht jeden Tag zur Schule. Alles, was danach zu Hause passiert, ist haarklein geregelt. Das "Abendritual" beginnt um 18 Uhr. Jeden Tag. Möglichst ohne Ausnahme. Abendessen, Zähneputzen und Schlafanzug anziehen - das alles folgt einer Reihenfolge, von der nicht abgewichen wird. Am Abend wird eine Geschichte vorgelesen. Selbstverständlich gibt es da ein kleines Problem: Der Alltag hält immer Überraschungen bereit. Termine, Krankheit - Alltag eben. Für Max und seine Familie bedeutet das sensibel zu planen, damit niemand die Nerven verliert. "Veränderungen müssen vorher angekündigt werden - dann ist es meistens machbar." Aber anstrengend ist es trotzdem.
"Es tut gut, dank der Autana-Stiftung Heilbronn wieder Zeit für uns zu haben."
Bleibt da nicht auch ein Eheleben auf der Strecke? "Oh doch", sagt Michael und lächelt milde. "Max irgendeinen Babysitter hinzusetzen, damit Mama und Papa essen gehen können, ist selbstverständlich undenkbar." Kornelia von der Autana-Stiftung holt beide Kinder von Schule und Kindergarten ab und beschäftigt sich auch danach noch mit ihnen. Von Beruf ist die Autana-Betreuungskraft Krankenschwester. Sie verschafft den Eltern wertvolle Zeit, in der mal nicht alles ganz nach Plan laufen muss. Nach Absprache ist vielleicht wirklich mal ein Abendessen zu zweit drin. "Sie ist in einem halben Jahr zur Ersatz-Oma für unsere Kinder geworden. Die beiden lieben und schätzen sie, meine Frau und ich vertrauen ihr blind." Eines ist Max' Eltern bei allen Besonderheiten dennoch ausgesprochen wichtig. "Wir lieben unsere Kinder über alles. So wie sie sind, sind sie toll!"

Mehr Infos zur Autana Stiftung gibt es hier.
*Namen von der Redaktion geändert.
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