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Atomkraftwerk Neckarwestheim: Aufbau, Planungen und Rückbau – eine Geschichte seit 1970

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Von: Dominik Jahn

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AKW Neckarwestheim
Atomkraftwerk Neckarwestheim: Aufbau, Planungen und Rückbau - eine Geschichte seit 1970 © Daniel Kubirski/dpa

Das Atomkraftwerk Neckarwestheim ist seit 1976 am Netz. Die letzte Betriebsgenehmigung sollte Ende 2022 auslaufen. Durch den Ukraine-Krieg und die Energiekrise soll das AKW jetzt aber die Stromversorgung als Notreserve sichern.

Das Kernkraftwerk Neckarwestheim liegt zehn Kilometer südlich von Heilbronn auf dem Gelände eines ehemaligen Steinbruchs direkt am Neckar. Der volle Name des Werks lautet Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar (GKN). Betrieben werden die zwei Druckwasserreaktoren vom EnBW-Tochterunternehmen EnBW Kernkraft GmbH mit Sitz in Obrigheim.

Block 2 des Atomkraftwerks (AKW) ist der jüngste deutsche, in Betrieb befindliche Reaktor. Außerdem ist das GKN das einzige Kernkraftwerk weltweit, das über einen Generator Bahnstrom erzeugt.

AKW Neckarwestheim: Erste Planungen im Jahr 1970 für den Standort Lauffen am Neckar

Bereits im Jahr 1970 gab es die ersten Planungen zu Block I des Atomkraftwerks in Neckarwestheim. Zuvor scheiterten Überlegungen, ein AKW in der Nachbarstadt Lauffen am Neckar zu bauen. Als Folge einigten sich daraufhin die Neckarwerke und die Technischen Werke Schussental (TWS)  im Januar 1971, das Kernkraftwerk im Steinbruch in Neckarwestheim zu errichten.

Neckarwestheim 1968
Historische Luftaufnahme aus dem Jahr 1968 von Neckarwestheim, noch ohne Kernkraftwerk. © Luftbildarchiv Uwe Moser/dpa

Zunächst sollte das AKW für eine Leistung von 600 Megawatt ausgerichtet sein. Dazu gab es Entwürfe, die einen Siedewasserreaktor und einen Druckwasserreaktor zeigten. Man entschied sich für den Druckwasserreaktor und erhöhte bei den Planungen die zu erwartenden Leistung auf 840 Megawatt. Grund für die Steigerung war die Deutsche Bundesbahn.

Für eine Elektrifizierung des Streckennetzes reichte das damalige kleine Bahnstromkraftwerk nicht aus. Die Deutsche Bahn AG wurde einer der Gesellschafter des GKN.

Das Jahr 1976: Block I des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckar geht ans Netz

Im Jahr 1972 starteten dann die Bauarbeiten für das Atomkraftwerk Neckarwestheim. Doch bereits im Jahr 1973/1974 kam es zu weiteren Änderungen in den Planungen. Dieses Mal ging es um Kühltürme. Statt einem 160 Meter hohen Naturzug-Nasskühlturm entschieden sich die Verantwortlichen damals für die Zellenkühler. 

Diese Variante war billiger und war weniger auffällig im Landschaftsbild. Block I wurde dann im Mai 1976 kritisch und konnte im Dezember desselben Jahres an den Betreiber übergeben werden. Kritisch ist dabei laut chemie.de der normale Betriebszustand eines Kernreaktors, in dem eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion abläuft.

Im Jahr 1975 wurde Block II für Neckarwestheim beantragt: Ein spezieller Kühlturm kommt zum Einsatz

Noch bevor Block I des AKW ans Netz gegangen war, beantragte die Verantwortlichen Mitte des Jahres 1975 bereits den Block II für Neckarwestheim. Entgegen den ursprünglichen Plänen, einen baugleichen Reaktor zu errichten, sollte es am Ende des Jahres 1979 dann doch ein leistungsstärkeres Werk mit 1.300 Megawatt elektrischer Leistung und einem 160 Meter Naturzug-Nasskühlturm werden. Als Hintergrund zu dieser Entscheidung wird heute die zweiten Ölpreiskrise genannt.

Kernkraftwerk Neckarwestheim
Der Hybridkühlturm ist weniger hoch und soll damit das Landschaftsbild weniger stark prägen. © Frank Hoermann / SVEN SIMON/dpa

Doch auch bei den 160 Metern blieb es nicht. Aus Gründen des Landschaftsbildes änderte sich die Höhe des Kühlturms für Block II des AKW Neckarwestheim auf 100 bis zuletzt 56 Meter. Und es wurde ein Hybridkühlturm. Laut EnBW unterscheidet sich dieser von Naturzug-Nasskühltürmen durch eine kompaktere Bauweise und geringere Höhe. Ein spezielles Verfahren sorgt darüber hinaus für eine deutlich geringere Schwadenbildung.

Das Jahr 1989: Block II des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckar geht ans Netz

Im Jahr 1982 war dann auch für Block II Baubeginn. Der kritische Zustand wurde mit dem Reaktor im Dezember 1988 erreicht. Im April 1989 konnte das Atomkraftwerk Neckarwestheim II an die Betreibergesellschaft übergeben werden. Das GNK II gilt damit als das vorletzte deutsche Kernkraftwerk, das ans Netz ging. Das letzte wurde 23 Tage später in Greifswald ans Netz gehängt.

Nach Angaben von EnBW kommt Block II auf eine elektrische Leistung von 1.400 Megawatt. Für das Jahr 2021 erzeugte die Anlage demnach rund 11,2 Milliarden Kilowattstunden Strom. Damit deckt sie laut EnBW-Angaben rechnerisch mehr als die Hälfte des Strombedarfs aller privaten Haushalte und etwa ein Sechstel des gesamten Stromverbrauchs in Baden-Württemberg.

Block I in Neckarwestheim: Stilllegung und Rückbau seit dem Jahr 2011

Nach einer Änderung des Atomgesetzes endete im Jahr 2011 die Stromproduktion der Anlage. Zuvor hatte im Jahr 2000 die damalige Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen. Pläne für eine Laufzeitverlängerung im Jahr 2010 wurde nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im März 2011 zurückgenommen.

Am 15. März 2011, kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg, gab der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) die Stilllegung des Blocks im AKW Neckarwestheim bekannt. Anfang 2017 wurde vom baden-württembergischen Umweltministerium die Genehmigung zur Stilllegung und zum Abbau der Anlage erteilt. GKN I ist laut Konzern-Angaben die erste der bundesweit acht Anlagen, die 2011 im Zuge der Energiewende abgeschaltet wurden, die in den Rückbau gegangen ist. Abgeschlossen sein soll der Rückbau demnach in zehn bis 15 Jahren.

Rückbau Kernkraftwerk Neckarwestheim
Ein Bagger reißt am Donnerstag 28. Juli 2012 in Neckarwestheim einen Zellenkühlturm ab. Der Rückbau läuft. © Franziska Kraufmann/dpa

Wie die EnBW schreibt, erzeugte Block I in 35 Betriebsjahren mehr als 201 Milliarden Kilowattstunden Strom und versorgte jährlich etwa 1,5 Millionen Haushalte. Die Anlage ersparte der Umwelt über 193 Millionen Tonnen des klimaschädlichen CO₂.

Der Rückbau von Block I des AKW Neckarwestheim

Nachdem der Auftrag zum Rückbau im Jahr 2017 erteilt wurde, sind unter anderem die Hauptkühlmittelleitungen vollständig demontiert worden und die Motoren der Hauptkühlmittelpumpen sind ausgebaut. Weitgehend abgeschlossen wurde Anfang 2019 darüber hinaus die Demontage und Zerlegung der Einbauten des Reaktordruckbehälters (RDB). 

Im Juni 2019 haben laut EnBW-Bericht darüber hinaus umfangreiche Demontagearbeiten im Maschinenhaus begonnen, bei denen die Turbinen, Generatoren und weitere dazugehörige Komponenten abgebaut werden.

Nach dem Rückbau von Block I in Neckarwestheim: Nutzung von Gelände und Gebäuden

Mit der Entlassung aus dem Atomrecht wird Neckarwestheim I den Plänen von EnBW nach nur noch eine konventionelle Industrieanlage. Damit kann dann offen über den Umgang mit verbliebenen Gebäuden entschieden werden. Abriss oder Weiternutzung der Bürogebäude sind möglich.

Im Zuge des Rückbaus hat das Unternehmen weiter in die Infrastruktur in Neckarwestheim investiert, um auch den folgenden Rückbau von Block II zu unterstützen. So wurde ein Reststoffbearbeitungszentrum (RBZ) und ein Standort-Abfalllager (SAL) auf dem Kraftwerksgelände errichtet. Dazu schreibt EnBW auf der Homepage: „Das Standort-Abfalllager wurde – wie gesetzlich vorgesehen – im Jahr 2020 an die staatliche Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) als neue Betreiberin übergeben. Das Reststoffbearbeitungszentrum nahm im Jahr 2021 seine Arbeit auf und wird von einem Unternehmen der EnBW – der Gesellschaft für nukleares Reststoffrecycling (GNR) – betrieben.“

Energiekrise 2022: Laufzeitverlängerung für Block II in Neckarwestheim in der Diskussion

Die Betriebsgenehmigung von Neckarwestheim II wurde laut Gesetz bis 31. Dezember 2022 festgesetzt. Seit 2016 hat das Unternehmen EnBW den Abriss für Block II beantragt. Im Zuge des Ukraine-Krieges und der immer größer werdenden Energiekrise seit März 2022 wurde über eine Laufzeitverlängerung beziehungsweise über einen Streckbetrieb der verbliebenen AKW in Deutschland diskutiert.

Nachdem Experten das Atomkraftwerk in Neckarwestheim in Baden-Württemberg, das AKW Isar 2 in Bayern und das Werk Emsland (Niedersachsen) einem Stresstest unterzogen hatten, gab Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 5. September 2022 bekannt, dass Neckarwestheim und Isar 2 als Notreserve am Netz bleiben.

Neckarwestheim weiter am Netz: Forderungen und Kritik

Das Unternehmen EnBW erklärte sich nach Bekanntgabe der Entscheidung dazu bereit, alles für einen Stand-by-Betrieb zu tun. Die Verantwortlichen forderten allerdings in einer offiziellen Stellungnahme die Bundesregierung dazu auf, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine Betriebsbereitschaft der genannten Kernkraftwerke nach dem 31. Dezember 2022 überhaupt zu ermöglichen.

Der Weiterbetrieb des AKW Neckarwestheim wurde mit Blick auf eine Reihe von meldepflichtigen Ereignissen in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit durchaus auch immer kritisch gesehen. Laut dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) wurden seit 2017 bei jeder der jährlichen Revisionen an den Rohren der Dampferzeuger Risse gefunden - trotzdem bleibt Block II am Netz.

Atomkraftwerk Neckarwestheim: Sicherheit und meldepflichtige Vorfälle

In den Jahren seit 1970 kam es im Atomkraftwerk Neckarwestheim immer wieder zu unterschiedlichen Zwischenfällen. Diese sogenannten meldepflichtigen Ereignisse in deutschen kerntechnischen Anlagen werden unter anderem bei Wikipedia aufgelistet oder sind über Seite des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung als PDF-Datei für alle Jahre abrufbar. Teile der Störfälle im Überblick*:

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