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Kommentar zu Gefängnis fürs Schwarzfahren: Zwischen „Jetzt erst recht“ und „völlig übertrieben“

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Von: Daniel Hagmann, Markus Merz

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Fahrkartenkontrolle im ÖPNV
Schwarzfahrer drohen in Baden-Württemberg unterschiedliche Strafen. © Daniel Karmann/dpa

Welche Strafen für Schwarzfahrer sind heute noch zeitgemäß? Macht die Drohung mit dem Gefängnis überhaupt noch Sinn? Oder muss man auch in Baden-Württemberg über ganz andere Maßnahmen nachdenken? Ein Pro- und Kontra der echo24.de-Redaktion.

Strafe muss sein. Nur welche? Das ist gerade im Grün-Schwarzen-Kabinett auch zum Thema Schwarzfahren die Frage. Aktuell kann es schließlich vorkommen, dass besonders hartnäckige Fälle eine Freiheitsstrafe im Gefängnis absitzen müssen. Aber ist das noch zeitgemäß? Sind die Strafvollzugsanstalten nicht ohnehin schon an ihren Grenzen angelangt und sollten nicht noch von vermeintlichen Bagatelle-Verbrechern geflutet werden?

Verkehrsminister Winfried Hermann pocht auf eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens. „Schwarzfahren ist eine Sauerei, sollte aber keine Straftat sein“, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Dafür sollte niemand ins Gefängnis kommen.“ Hermann argumentiert auch mit einer Entlastung der Justiz. Man könne diese von Bagatellverfahren befreien. „Von mir aus kann man das Bußgeld erhöhen, aber Schwarzfahren sollte keine Straftat sein.“

Mit seinem Vorstoß stößt Hermann innerhalb der Koalition auf deutlichen Widerstand – aus dem CDU-geführten Justizministerium. „Den Ansatz, ein bestimmtes Verhalten zu entkriminalisieren, um damit Kapazitäten in der Justiz zu schaffen, halte ich für verfehlt“, sagte Ministerin Marion Gentges. „Rechtsstaat funktioniert nicht so, dass wir uns fragen, welche Regeln wir uns mit Blick auf Justizressourcen noch leisten können.“ Stattdessen müsse die Politik die Justiz mit den Mitteln ausstatten, die sie zur Bewältigung ihrer Aufgaben braucht.

Auch in der Redaktion von echo24.de löst die Debatte Diskussionen aus. Die beiden Autoren Daniel Hagmann und Markus Merz über das Pro und Kontra bei Strafen für Schwarzfahrer:

Mildere Strafen für Schwarzfahrer ergeben Sinn. Ein Kommentar von Daniel Hagmann:

Klar: Im gesellschaftlichen Sinn ist es weder fair noch in Ordnung: Während der ehrliche Fahrgast eine Handvoll Euro fürs Einzelticket löhnt oder für die Monatskarte auch mal ein Netto-Tagesgehalt liegen lässt, nimmt es sich der Schwarzfahrer heraus, kostenlos von A nach B zu kommen. Juristisch gesprochen: Er erschleicht sich die Beförderung. Und begeht damit keine vermeintlich harmlose Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat. Wer mehrfach erwischt wird und die verhängte Geldstrafe nicht bezahlt, dem droht Gefängnis. Ein Unding!

In Zeiten von steigenden Kosten an allen Fronten sind öffentliche Verkehrsmittel für Menschen mit geringem Einkommen meist die einzige Mobilitäts-Möglichkeit. Sicher gibt es Schwarzfahrer, die aus Trotz weder für Fahrkarten noch für verhängte Strafen den Geldbeutel öffnen. Aber wenn trotz sparsamen Lebensstils am Ende des Geldes noch viel Monat übrig bleibt, ist das Kriminalisieren dieser Not-Schwarzfahrer der falsche Weg. Auch weil die Gefahr droht, im Gefängnis durch zweifelhafte Kontakte und den Häftling-Stempel erst recht auf die schiefe Bahn zu geraten. Und dann wäre der gesellschaftliche Schaden noch größer. Zumal die Justiz aufgrund von Personalmangels und überfüllten Gefängnissen ohnehin nicht weiß, wo ihr der Kopf steht.

In Zeiten, in denen Azubis ihre Lehre abbrechen, weil sie sich das Ticket für den Weg zur Arbeit nicht leisten können, müssen andere Lösungen her. Solche, die das Problem an der Wurzel und nicht am Auswuchs packen. Auch im Sinne des Klimawandels ist das vergleichsweise bezahlbare Neun-Euro-Ticket ein richtiger Schritt. Mindestens für Wenigverdiener, besser aber noch für alle, sollten öffentliche Verkehrsmittel erschwinglich sein. Das begünstigt auch das Umschwingen auf klimaschonende Fortbewegungsmittel. Und wirkt nicht nur dem Schwarzfahren, sondern auch dem millionenfachen düsteren Auspuffrauch entgegen.

Harte Strafen für Schwarzfahrer – jetzt erst recht! Ein Kommentar von Markus Merz

Der Sommer war im ÖPNV geprägt von einem nahezu kostenlosen Nahverkehr. Das 9-Euro-Ticket erfreute sich derart großer Beliebtheit, dass viele Menschen, Städte, Länder und Regionen mit dem Bus oder Zug erschlossen und das Auto stehen ließen. Alleine schon mit Blick auf die Umwelt und den Klimawandel kann man die Entscheider zu dieser Maßnahme nur beglückwünschen. Nicht wenige fordern deshalb einen dauerhaft günstigen ÖPNV – oder gar eine kostenlose Variante. Ja, warum eigentlich nicht?

Da wirkt die Debatte um Strafen um Schwarzfahrer, die aktuell manch Politiker in Baden-Württemberg umtreibt, fast schon hanebüchen. Solange es aber keine kostenlose Variante gibt (die übrigens in immer mehr Städten auf der Welt umgesetzt wird), ist die Diskussion richtig und wichtig.

Klar, bis ein Schwarzfahrer im Knast landet, muss viel passieren. Das ist auch gut so. Die Gefängnisse brauchen den Platz für Mörder, Vergewaltiger und andere Schwerverbrecher. Dennoch: Solange der Nahverkehr nicht gänzlich umsonst ist, muss es eine solche Endstufe bei der Bestrafung geben. Alleine schon der Abschreckung wegen. Zumal das Argument, dass sich ärmere Menschen den ÖPNV nicht leisten können und deshalb ohne Ticket fahren, wegfällt, wenn es günstige Angebote wie das 9-Euro-Ticket gibt.

Wo kämen wir hin, wenn es gerade jetzt mildere Strafen für Schwarzfahrer gäbe? Deshalb: Jetzt erst recht auf härtere Strafen setzen! Damit allen klar ist: Dieses Angebot gibt es nicht umsonst.

Aber wer weiß, vielleicht schafft es Deutschland ja sogar irgendwann, diese Debatte tatsächlich überflüssig zu machen. Ob wir dran glauben? Eher nicht.

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