Kinderkliniken in Baden-Württemberg wegen RS-Virus am Limit - „Sowas in der Form noch nie erlebt“

Kinderkliniken in Baden-Württemberg sind wegen ungewöhnlich vieler Atemwegserkrankungen, etwa durch das RS-Virus, überlastet. Der Grund: Während der Corona-Pandemie konnten die Kinder keine natürliche Immunität aufbauen.
Stuttgart – Fieber, Husten und Atembeschwerden: Das sind typische Symptome viraler Atemwegs- und Erkältungskrankheiten, die derzeit vermehrt kursieren. Speziell das RS-Virus (RSV) – das Humane Respiratorische Synzytial-Virus – verbreitet sich und bringt vor allem Kinderarztpraxen und Kinderkliniken in Baden-Württemberg an ihre Belastungsgrenzen. Denn Infektionen mit dem Virus haben zwar Erwachsene, mit etwas heißem Tee und viel Bettruhe, meist innerhalb weniger Tage wieder überstanden. Aber für kleine Kinder und vor allem Säuglinge kann es durchaus gefährlich werden. Zudem gibt es weder einen Impfstoff noch spezielle Medikamente, um Kinder zu schützen.
An sich ist eine Erkrankung an dem RS-Virus laut dem Robert-Koch-Institut nichts Ungewöhnliches. Nahezu jedes Kind mache bis zum Ende des zweiten Lebensjahres eine Infektion durch. Doch in diesem Jahr scheint es die Kliniken im Land besonders hart zu treffen, wie etwa Jochen Meyburg, Ärztlicher Direktor für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Ludwigsburg, gegenüber den Stuttgarter Nachrichten (StN) berichtet. Vor etwa drei Wochen habe die RSV-Welle begonnen, seitdem stetig an Fahrt aufgenommen und „seit etwa einer Woche steigen die Zahlen explosionsartig an“. Am vergangenen Wochenende seien täglich mehr als 200 Kinder mit Atemwegsinfekten ins Klinikum gebracht worden. Das hat zur Folge, dass laut Meyburg kaum noch Betten in Ludwigsburg frei sind. Und auch an Personal fehle es, da viele von ihnen wegen Infektionen ausfallen würden – gerade auch durch Covid.
RSV-Infektion: Immer mehr Kinder landen wegen Atemwegserkrankung in Kliniken im Südwesten
Doch nicht nur die Anzahl der Patienten und der Personalmangel bereiten dem Ludwigsburger Mediziner Sorgen. „Junge Säuglinge, die von der Krankheit immer am stärksten betroffen sind, sind deutlich kränker als sonst“, sagt Jochen Meyburg gegenüber den StN. Dazu käme, dass auch immer mehr ältere Kinder im Kindergartenalter stationär aufgenommen werden müssten, um mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt zu werden. Das kenne er so aus den vorangegangenen Jahr nicht. Und das, obwohl das RS-Virus bereits im vergangenen Jahr die Kinderkliniken im Land an die Grenzen brachte.
Das Klinikum Ludwigsburg steht mit dieser problematischen Lage nicht alleine da: So landen im Olgahospital, der Kinderklinik am Klinikum Stuttgart, aber auch an den Unikliniken in Ulm, Mannheim sowie Heidelberg laut Berichten des SWR immer mehr Kinder mit einer RSV-Infektion. „Ich hab sowas in der Form noch nie erlebt“, sagt etwa Rüdiger Adam, Kinderarzt am Uniklinikum Mannheim. Dort seien die Ressourcen derzeit sogar so knapp, dass die kleinen Patienten in andere Krankenhäuser in der Region verlegt werden müssen.
Infektionsgeschehen laut Mediziner nicht ungewöhnlich – „Wir sind das nur nicht mehr gewohnt“
Da es das RS-Virus schon seit vielen Jahren gibt, stellt sich die Frage, weshalb die Welle in den vergangenen Wochen so ein Ausmaß angenommen hat. Rüdiger Adam hat dafür eine bestimmte Begründung: „Die Kindertagesstätten sind quasi Immun-Trainings-Gebiet Nummer 1. Die gesunden Kinder müssen den Viren ausgesetzt werden. Das blieb während Corona aus – und so werden alle Infektionen jetzt quasi nachgeholt“, sagt er gegenüber dem SWR. Diese Annahme teilen zahlreiche Mediziner aus Baden-Württemberg.
Auch der Landessprecher des Berufsverbands der Kinder und Jugendärzte, Till Reckert, führt die aktuelle Welle darauf zurück, dass das Immunsystem vieler Kinder während der Corona-Lockdowns weniger trainiert worden ist. Gleichzeitig sei er aber auch der Meinung, dass sich das gegenwärtige Infektionsgeschehen nicht groß von Erkältungswellen vor der Pandemie unterscheide, wie die StN berichten. „Wir sind das nur nicht mehr gewohnt“, sagt er. Außerdem betont er, dass die meisten Kinder eine Infektion mit dem RS-Virus gut wegstecken würden und es nicht „supergefährlich“ sei. „Deutlich weniger als ein Prozent der infizierten Kinder bekommen ernsthafte medizinische Probleme“, sagt der Reutlinger Kinderarzt.